Oct 9, 2025
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Einleitung: Warum Transparenz im Recruiting 2025 entscheidend ist
Viele Kandidaten glauben, dass Bewerbungsprozesse objektiv, transparent und fair ablaufen.
Die Realität sieht oft anders aus.
Nach über 25 Jahren in IT-Sales und mehr als 18 Jahren im Executive Search kann ich eines sagen:
Hiring ist kein rein rationaler Prozess.
Es geht nicht nur um Leistung oder Lebenslauf – es geht um Wahrnehmung, Risikoabwägung, Politik und manchmal schlicht um Zufälle.
Dieser Artikel zeigt Ihnen, was wirklich im Hintergrund passiert – und wie Sie als Kandidat oder Führungskraft im DACH-Markt das Spiel verstehen und für sich nutzen können.
1. Sie sind manchmal nur der Benchmark – nicht der echte Kandidat
Das passiert häufiger, als viele denken: Sie werden eingeladen, führen mehrere Gespräche – und hören am Ende:
„Wir haben uns intern entschieden.“
Die Wahrheit: Sie waren nie wirklich „im Rennen“.
Sie waren der Benchmark, also der Vergleichskandidat, mit dem ein interner Favorit gemessen wird.
Unternehmen tun das, um Entscheidungen abzusichern oder Prozesse formal korrekt zu gestalten.
Gerade bei großen US-Herstellern oder Konzernen in Deutschland ist das üblich.
Mein Rat:
Auch wenn sich der Prozess seltsam anfühlt – liefern Sie ab.
Ich habe unzählige Fälle erlebt, in denen der „Benchmark“ am Ende den Job bekam, weil der ursprüngliche Favorit abgesprungen ist.
2. Der zweite Platz gewinnt öfter, als man denkt
Eine Absage heißt nicht immer „Ende“.
Viele zweite Plätze bekommen Wochen später doch noch ein Angebot – weil jemand anderes absagt oder das Budget verschoben wird.
Ein Beispiel aus meiner Praxis:
Ein erfahrener Account Executive aus München wurde nach drei Runden abgelehnt.
Vier Wochen später rief der Kunde an: „Unser Favorit hat abgesagt – ist Jan’s Kandidat noch verfügbar?“
Er war’s – und bekam den Job, mit besserem Paket.
Fazit:
Bleiben Sie professionell und respektvoll – auch nach einer Absage.
Hiring Manager merken sich Kandidaten, die sich souverän verhalten.
3. Zu viel Eifer wirkt bedürftig – nicht motiviert
Viele Kandidaten glauben: Wenn sie besonders engagiert wirken, machen sie Eindruck.
In Wirklichkeit kann das Gegenteil passieren.
Zu häufige Nachfragen, zu offensichtlicher Druck oder übertriebene Begeisterung wirken unsicher – gerade im deutschen Markt, wo Professionalität oft mit Ruhe und Selbstbewusstsein gleichgesetzt wird.
Mein Tipp:
Seien Sie interessiert, aber nicht bedürftig.
Bleiben Sie in Kontakt, aber geben Sie Raum.
Hiring Manager spüren sehr schnell, ob jemand aus Überzeugung oder aus Druck heraus agiert.
4. „Cultural Fit“ ist oft nur ein anderes Wort für Bias
Der Begriff „Cultural Fit“ klingt positiv, wird aber häufig missverstanden – oder als Deckmantel genutzt.
In vielen Unternehmen bedeutet er in Wahrheit: „Passt zu uns, weil er uns ähnlich ist.“
Das führt zu Einseitigkeit statt Vielfalt.
Ich sehe das besonders im Tech-Sales-Umfeld:
Man sucht Kandidaten, die „ins Team passen“ – und übersieht oft die, die wirklich neue Perspektiven einbringen könnten.
Als Trusted Advisor sage ich klar:
Ein Team braucht Unterschiedlichkeit, um stark zu sein.
Wer immer nur seinesgleichen einstellt, verhindert Innovation.
5. Die Entscheidung fällt oft in den ersten fünf Minuten
Die meisten Hiring Manager wissen es nicht einmal bewusst – aber sie treffen ihre Entscheidung fast sofort.
Das nennt man „Confirmation Bias“:
Der erste Eindruck entscheidet, der Rest des Gesprächs dient nur dazu, ihn zu bestätigen.
Deshalb sage ich meinen Kandidaten:
Das erste Interview ist kein Wissens-Test, sondern ein Wahrnehmungs-Test.
Sprechen Sie ruhig, klar, und mit echter Präsenz.
Verhalten Sie sich so, als wären Sie bereits Teil des Teams – aber ohne Überheblichkeit.
6. „Überqualifiziert“ ist selten ein Kompliment
Wenn Sie hören: „Wir fanden Sie großartig, aber Sie sind überqualifiziert“,
heißt das oft: „Sie sind zu teuer, zu erfahren oder zu stark für die Struktur.“
Ich hatte Fälle, da wurde ein Top-Kandidat abgelehnt, weil der Hiring Manager Angst hatte, „überstrahlt“ zu werden.
Das hat nichts mit Ihnen zu tun – sondern mit Dynamik und Unsicherheit auf Unternehmensseite.
Mein Rat:
Fragen Sie ruhig nach: „Was genau meinen Sie mit überqualifiziert?“
So können Sie herausfinden, ob das Unternehmen wirklich zu Ihnen passt.
Fazit: Die Wahrheit liegt zwischen den Zeilen
Recruiting ist nie rein objektiv – es ist menschlich, politisch und emotional.
Aber: Wer das System versteht, verliert weniger Energie in Frust und kann strategischer handeln.
Mein Fazit als Headhunter:
Lernen Sie, zwischen den Zeilen zu lesen.
Bleiben Sie professionell, auch wenn Prozesse unfair wirken.
Fokussieren Sie sich auf Unternehmen, die echte Entscheidungsqualität zeigen – nicht nur Schlagworte wie „Cultural Fit“.
Denn am Ende geht es nicht darum, jeden Job zu bekommen.
Sondern den richtigen.